Beweisverfahren für offene Mengen
Um zu zeigen, dass eine Menge \( O \) bzgl. einer Grundmenge \( M \) offen ist, reicht es, wenn du einen der folgenden Aussagen beweist (alle Aussagen sind äquivalent):
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\( O \) ist Umgebung für alle seine Elemente.
Beispielbeweis: Die Menge \( O= ]a,b[\,\times\,]c,d[ \) mit \( a < b \) und \( c < d \) ist offen bzgl. der Grundmenge \( M=\R^2 \) und der Maximumsnorm (Da \( \R^2 \) ein endlicher, reeller Vektorraum ist, sind alle Normen auf \( \R^2 \) äquivalent, so dass aus diesem Beweis auch folgt, dass \( O=]a,b[\, \times\, ]c,d[ \) in \( \R^2 \) bzgl. jeder Norm offen ist - äquivalente Normen erzeugen diesselbe Topologie).
Sei \( (x,y)\in O \) beliebig. Wähle \( r= \min\{a-x, x-b, d-y, y-c\} > 0 \). In der Maximumsnorm ist der offene Ball \( B_r(x,y) \) um den Punkt \( (x,y) \) mit dem Radius \( r \) gleich der Menge \( ]x-r,x+r[\,\times\,]y-r,y+r[ \). Aus der Definition von \( r \) folgt, dass \( ]x-r,x+r[\ \subseteq\ ]a,b[ \) und \( ]y-r,y+r[\ \subseteq\ ]c,d[ \) ist. Demnach ist \( (x,y)\in B_r(x,y) = ]x-r,x+r[\,\times\, ]y-r,y+r[\ \subseteq\ ]a,b[\, \times\, ]c,d[ = O \). \( O \) ist also eine Umgebung des Punktes \( (x,y) \). Da \( (x,y) \) aus \( O \) beliebig gewählt wurde, ist \( O \) Umgebung für alle seine Punkte und somit offen.
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Für alle \( x \in O \) gibt es ein \(r > 0\), so dass \(B_r(x) \subset O\).
Beispielbeweis: siehe obiges Beispiel.
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\(M \setminus O\) ist abgeschlossen (bzgl. \(M\)).
Beispielbeweis: Die Menge \(O = \{ x\in \R : x < 2 \text{ oder } x > 3 \}\) ist offen in der Grundmenge \(M=\R\) (bzgl. der Standardmetrik), weil das Komplement \(M\setminus O\) von \(O\) in \(M\) gleich der abgeschlossenen Menge \(M \setminus O = \{ x\in \R : x \ge 2 \text{ und } x \le 3 \} = [2,3]\) ist.
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\(O\) ist Urbild einer offenen Menge in \(Y\) bzgl. einer stetigen Funktion \(f: M \rightarrow Y\) (\(Y\) ist beliebig).
Beispielbeweis: Die Menge \(O=\{ f \in C[0,1] : 1 < \norm{f} < 2 \}\) ist offen in der Grundmenge \(M = C[0,1]\) bzgl. der durch die Norm \(\norm{\cdot}\) erzeugten Metrik. \(O\) ist nämlich Urbild der offenen Menge \(]1,2[\) unter der stetigen Normabbildung. Um dies zeigen zu können, schreiben wir im Folgenden \(N(f)\) anstatt \(\norm{f}\). Wie bereits gesagt ist die Normabbildung \(N: C[0,1] \rightarrow \Rplus_0 : f \mapsto \norm{f}\) stetig. Außerdem ist
\[ \begin{align} O &= \{ f \in C[0,1] : 1 < \norm{f} < 2 \} \\ &= \{ f \in C[0,1] : 1 < N(f) < 2 \} \\ &= \{ f \in C[0,1] : N(f) \in ]1,2[ \} \\ &\qquad \left\downarrow \text{Definition vom Urbild} \right. \\ &= N^{-1}(\underbrace{]1,2[}_{\text{offen in }\Rplus_0}) \end{align} \]Damit ist \(O\) Urbild der offenen Menge \(]1,2[\) unter der stetigen Normabbildung und somit selbst offen.
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\(O\) ist ein endlicher Schnitt offener Mengen.
Beispielbeweis: Die Menge \(O=\left\{ f \in C[0,1] : \norm{f}_\infty < 1 \text{ und } \tfrac 12 < \int_0^1 f(x) \dx < 1 \right\}\) ist offen in der Grundmenge \(M=C[0,1]\) bzgl. der Supremumsnorm \(\norm{\cdot}_\infty\).
Schritt 1: Die Menge \(\{ f \in C[0,1] : \norm{f}_\infty < 1 \}\) ist analog dem obigem Beispiel offen. Sei \(N:C[0,1]\rightarrow \Rplus_0 : f \mapsto \norm{f}_\infty\) die stetige Supremumsnorm. Es ist
\[ \begin{align} \{ f \in C[0,1] : \norm{f}_\infty < 1 \} &= \{ f \in C[0,1] : N(f) < 1 \} \\ & = \{ f \in C[0,1] : N(f) \in [0,1[ \} \\ &= N^{-1}(\underbrace{[0,1[}_{\text{offen in }\Rplus_0}) \end{align} \]Beachte, dass zur Anwendung des obigen Kriteriums die Offenheit von \([0,1[\) im Wertebereich \(\Rplus_0\) von der Abbildung \(N\) entscheidend ist. \([0,1[\) ist bzgl. der Grundmenge \(\Rplus_0\) offen (siehe unten).
Schritt 2: Auch die Menge \(\left\{ f\in C[0,1] : \tfrac 12 < \int_0^1 f(x) \dx < 1 \right\}\) ist offen in \(C[0,1]\). Betrachte dazu die Integralabbildung \(I: C[0,1] \rightarrow \R: f \mapsto \int_0^1 f(x) \dx\). \(I\) ist eine stetige Funktion, denn sie ist Lipschitz-stetig zur Lipschitz-Konstante 1:
\[ \begin{align} \betrag{I(f) - I(g)} & = \betrag{\int_0^1 f(x) \dx - \int_0^1 g(x) \dx} \\ &= \betrag{\int_0^1 (f(x) - g(x)) \dx} \\ &\le \int_0^1 \betrag{f(x)-g(x)} \dx \\ &\le \int_0^1 \norm{f-g}_\infty \dx \\ &= \norm{f-g}_\infty \cdot \int_0^1 1 \dx \\ &= \norm{f-g}_\infty \end{align} \]Nun ist
\[ \begin{align} \left\{ f\in C[0,1] : \tfrac 12 < \int_0^1 f(x) \dx < 1 \right\} & = \left\{ f\in C[0,1] : \tfrac 12 < I(f) < 1 \right\} \\ & = \left\{ f\in C[0,1] : I(f) \in ]\tfrac 12,1[ \right\} \\ &= I^{-1} (\underbrace{]\tfrac 12, 1[}_{\text{offen in }\R}) \end{align} \]Schritt 3: Nun ist \(O\) ein Schnitt zweier endlicher Mengen, denn es ist
\[ \begin{align} O& =\left\{ f \in C[0,1] : \norm{f}_\infty < 1 \text{ und } \tfrac 12 < \int_0^1 f(x) \dx < 1 \right\} \\ & = \underbrace{\left\{ f \in C[0,1] : \norm{f}_\infty < 1 \right\}}_{\text{offen}} \cap \underbrace{\left\{ f \in C[0,1] : \tfrac 12 < \int_0^1 f(x) \dx < 1 \right\}}_{\text{offen}} \end{align} \]und somit \(O\) eine offene Menge.
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\(O\) ist eine beliebige Vereinigung offener Mengen.
Beispielbeweis: Die Menge \(O=\{(x,y)\in\R^2 : \exists m,n \in \Z \norm{(x,y) - (m,n)} < \tfrac 12 \}\) ist offen in \(M=\R^2\) bzgl der durch \(\norm{\cdot}\) erzeugten Metrik. Es ist nämlich
\[ \begin{align} \{(x,y)\in\R^2 : \exists m,n \in \Z \norm{(x,y) - (m,n)} < \tfrac 12 \} & = \bigcup_{m,n\in\Z} \{ (x,y) \in \R^2 : \norm{(x,y) - (m,n)} < \tfrac 12 \} \\ & = \bigcup_{m,n\in\Z} \underbrace{B_{\tfrac 12 } (m,n)}_{\text{offen in }\R^2} \end{align} \]Es ist also \(O\) eine Vereinigung offener Mengen und damit wieder offen (mach dir eine Skizze zu diesem Beispiel).
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\(O\) enthält keinen seiner Randpunkte.
Beispielbeweis: Die Menge \([0,1[\) ist in der Grundmenge \(M=\Rplus_0=[0,\infty)\) offen (bzgl. der Standardmetrik). Die Menge der Randpunkte einer Menge \(A\) in der Grundmenge \(B\) ist die Menge aller Punkte \(x_R\) aus \(B\), für die es eine Folge aus \(A\) und eine Folge aus \(B\setminus A\) gibt, die jeweils gegen \(x_R\) konvergieren. Der einzige Punkt von \([0,1[\), für den es eine Folge aus \([0,1[\) und eine Folge aus \(\Rplus_0\setminus [0,1[ = [1,\infty)\) gibt, die gegen diesen Punkt konvergieren, ist 1. Damit ist 1 der einzige Randpunkt der Menge \([0,1[\) in \(\Rplus_0\). Dieser Punkt liegt nicht in \([0,1[\), so dass \([0,1[\) keinen seiner Randpunkte bzgl. der Grundmenge \(\Rplus_0\) enthält.
Alternativ kannst du das obige Beispiel auch folgendermaßen beweisen: Das Komplement von \([0,1[\) in \(\Rplus_0\) ist \(\Rplus_0 \setminus [0,1[ = [1,\infty)\) und damit abgeschlossen. Also ist \([0,1[\) in \(\Rplus_0\) offen.
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\(O\) ist gleich seinem Inneren (\(O = \overset{\circ}{O}\)).
Beispielbeweis: siehe obiges Beispiel (Wenn \(O\) gleich seinem Inneren ist, so ist dies äquivalent dazu, dass \(O\) keinen seiner Randpunkte enthält).
Beweisverfahren für abgeschlossene Mengen
Um zu zeigen, dass eine Menge \(A\) bzgl. einer Grundmenge \(M\) abgeschlossen ist, reicht es aus, wenn du einen der folgenden Aussagen beweist (alle Aussagen sind äquivalent):
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\(M \setminus A\) ist eine offene Menge (bzgl. \(M\)).
Beispielbeweis: Die Menge \(A=[-1,0)\) ist abgeschlossen in \(M=\Rminus\) (bzgl. der Standardmetrik), da das Komplement \(M \setminus A= \Rminus \setminus [-1,0) = (-\infty, -1)\) offen in \(\Rminus\) ist.
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\(A\) ist Urbild einer abgeschlossenen Menge in \(Y\) bzgl. einer stetigen Funktion \(f: M \rightarrow Y\) (\(Y\) ist beliebig).
Beispielbeweis: Die Menge \(A=\{ f \in C[0,1]: f(\tfrac 12) = 0 \}\) ist abgeschlossen bzgl der Supremumsnorm \(\norm{\cdot}_\infty\). Sei dazu \(W: C[0,1] \rightarrow \R: f \mapsto f(\tfrac 12)\) die Funktion, die jeder stetigen Funktion \(f\in C[0,1]\) in ihren Funktionswert \(f(x)\) an der Stelle \(x=\tfrac 12\) zuweist. Diese Funktion ist Lipschitz-stetig zur Lipschitz-Konstanten 1, denn es ist \(|W(f)-W(g)| = |f(\tfrac 12) - g(\tfrac 12)| \le \norm{f-g}_\infty\). Nun ist
\[ \begin{align} A&=\{ f \in C[0,1]: f(\tfrac 12) = 0 \} \\ &= \{ f \in C[0,1]: W(f) = 0 \} \\ &=\{ f \in C[0,1]: W(f) \in\{ 0\} \} \\ &= W^{-1}(\underbrace{\{0\}}_{\text{abgeschlossen in }\R}) \end{align} \]Damit ist \(A\) eine abgeschlossene Menge als Urbild einer abgeschlossenen Menge in einer stetigen Funktion.
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\(A\) ist beliebieger Schnitt abgeschlossener Mengen.
Beispielbeweis: Die Menge \(A=\{ f\in C(\R) : \forall z\in \Z: f(z) = 0 \}\) ist abgeschlossen in \(C(\R)\), der Menge aller stetigen Funktionen \(f:\R\rightarrow\R\). Analog dem obigem Beispiel ist für jedes \(z\in\Z\) die Menge \(\{ f\in C(\R) : f(z) = 0 \}\) abgeschlossen in \(C(\R)\). Es ist
\[ \begin{align} A& =\{ f\in C(\R) : \forall z\in \Z: f(z) = 0 \} \\ &= \bigcap_{z\in\Z} \{ f\in C(\R) : f(z) = 0 \} \end{align} \]Damit ist \(A\) abgeschlossen als Schnitt abgeschlossener Mengen.
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\(A\) ist endliche Vereinigung abgschlossener Mengen.
Beispielbeweis: Die Menge \(0=\{(x,y)\in[0,10]\times[0,10] \ |\ \exists m,n \in \N_0 \norm{(x,y) - (m,n)} \le \tfrac 12 \}\) ist abgeschlossen in \(M=[0,10]\times[0,10]\) bzgl der durch \(\norm{\cdot}\) erzeugten Metrik. Es ist nämlich
\[ \begin{align} & \{(x,y)\in[0,10]\times[0,10] \ |\ \exists m,n \in \N_0 \norm{(x,y) - (m,n)} \le \tfrac 12 \} \\ =& \{(x,y)\in[0,10]\times[0,10] \ |\ \exists m,n \in \{0,\ldots, 10\} \norm{(x,y) - (m,n)} \le \tfrac 12 \} \\ =& \bigcup_{m,n=0}^{10} \{ (x,y) \in \R^2 : \norm{(x,y) - (m,n)} \le \tfrac 12 \} \\ =& \bigcup_{m,n=0}^{10} \underbrace{\bar B_{\tfrac 12 } (m,n)}_{\text{abgeschlossen}} \end{align} \]Damit ist \(A\) abgeschlossen als endliche Vereinigung abgeschlossener Mengen.
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Für jede konvergente Folge \((x_n)_{n\in\N}\) mit Folgeglieder aus \(A\), ist der Grenzwert auch in \(A\) (Konvergenz der Folge wird hier angenommen - muss nicht bewiesen werden).
Beispielbeweis: Die Menge \(A=[0,1]\) ist abgeschlossen in \(\R\) (bzgl. der Standardmetrik). Sei dazu \(\folge{x_n}\) eine konvergente Folge in \([0,1]\). Es ist also für alle \(n\in\N\) die Ungleichung \(0 \le x_n \le 1\) erfüllt und es gilt
\[ \begin{align} 0 \le \lim_{n\rightarrow\infty} 0 \le \lim_{n\rightarrow\infty} x_n \le \lim_{n\rightarrow\infty} 1 = 1 \end{align} \]Es konvergiert also jede konvergente Folge aus \([0,1]\) in \([0,1]\), so dass \([0,1]\) abgeschlossen ist.
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\(A\) enthält alle seine Randpunkte.
Beispielbeweis: Die Menge \(A=[0,1]\) ist abgeschlossen in \(\R\), denn es enthält seine Randpunkte 0 und 1.
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\(A\) ist gleich seinem Abschluss (\(A = \overline A\)).
Beispielbeweis: siehe obiges Beispiel (\(A\) ist genau dann gleich seinem Abschluss, wenn \(A\) alle seine Randpunkte enthält).