In einer der letzten Vorlesungsstunden ist dir sicherlich die Schreibweise \( L(V,W) \) begegnet, welche die Menge aller linearen Abbildungen vom Vektorraum \( V \) in den Vektorraum \( W \) bezeichnet. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass der Umgang mit dieser abstrakten Menge nicht leicht ist. Deswegen habe ich mich dazu entschlossen diesen Artikel zu schreiben, um dir beim Verständnis dieses abstrakten Begriffs zu helfen.
Was ist \( L(V,W) \)?
\( L(V,W) \) ist nach Definition die Menge aller linearen Abbildungen des Vektorraums \( V \) in den Vektorraum \( W \). Wenn wir also zwei Vektorräume \( V \) und \( W \) gegeben haben, so ist \( L(V,W) \) diejenige Menge, die man erhält, wenn man alle möglichen linearen Abbildungen von \( V \) nach \( W \) in eine Menge zusammenfässt.
Beachte, dass die Elemente der Menge \( L(V,W) \) Abbildungen, also Funktionen sind. Diese Tatsache ist insofern bedeutend, als dass wir hier die Abbildungen behandeln als wären sie Objekte (In meiner inneren Vorstellung sehe ich Elemente einer Menge als Objekte an). Dies unterscheidet sich durchaus von der Sichtweise auf Abbildungen, wie wir sie in der Schule kennen gelernt haben. Ich vermute, dass viele Schüler eine Funktion als Abstraktion eines Prozesses bzw. einer Veränderung eines Objekts sehen. Die innere Vorstellung eines Schülers könnte so aussehen: „Die Funktion \( f(x)=x^2 \) macht aus einer reellen Zahl \( x \) ihre Quadratzahl \( x^2 \).“ Die Betrachtungsweise, eine Funktion nicht nur als Prozess, sondern auch als ein Objekt zu sehen, ist durchaus für den einen oder anderen neu (so erging es mir jedenfalls im Studium).
Mehrdeutigkeit der Schreibweise \( f(x)=0 \)
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Mehrdeutigkeit der Schreibweise \( f(x)=0 \) hinweisen. Die Gleichung \( f(x)=0 \) kann nämlich auf mindestens zwei verschiedene Arten interpretiert werden, die beide je nach Kontext gemeint sein könnten. Zum einen kann der Autor damit ausdrücken, dass die Funktion \( f \) an einer Stelle \( x \) den Funktionswert \( 0 \) besitzt. \( f \) ist also eine Funktion, die mindestens eine Nullstelle besitzt bzw. deren Graph die \( x \)-Achse an mindestens einer Stelle schneidet (Wenn wir davon ausgehen, dass der Definitionsbereich \( \R \) ist).
Zum anderen kann der Autor mit der Schreibweise \( f(x)=0 \) eine Funktion definieren, die an jeder Stelle \( x \) den Funktionswert \( 0 \) besitzt, deren Graph also (wenn der Definitionsbereich gleich \( \R \) ist) gleich der \( x \)-Achse ist. In dieser zweiten Sichtweise wird also die Funktion \( f \) definiert, in dem man in der Gleichung \( f(x)=0 \) angibt, wie ein beliebiges Argument \( x \) durch die Funktion abgebildet werden soll.
Du siehst: Es ist wichtig für das richtige Verstehen, dass der Leser weiß, welche Bedeutung der Autor mit seiner Schreibweise \( f(x)=0 \) meint. Ich werde deshalb in den nächsten Abschnitten explizit auf die von mir gemeinte Bedeutung hinweisen.
Wieso ist \( L(V,W) \) ein Vektorraum?
Nun ist dir vielleicht schon bekannt, dass \( L(V,W) \) selbst wieder ein Vektorraum ist, dass also eine lineare Abbildung zwischen zwei Vektorräumen selbst wieder ein Vektor ist (eine freakige Sache, oder?). Um zu verstehen, warum dies der Fall ist, wird die im vorherigem Abschnitt beschriebene Sichtweise auf Abbildungen als eigenständige Objekte hilfreich.
Damit die Menge \( L(V,W) \) zu einem Vektorraum werden kann, müssen wir auf ihr erstmal eine Addition und eine skalare Multiplikation definieren. Wir müssen also für je zwei lineare Abbildungen \( \phi, \psi \in L(V,W) \) definieren, wie ihre Summe, die lineare Abbildung \( \phi+\psi \), aussieht. Außerdem müssen wir für jede lineare Abbildung \( \phi\in L(V,W) \) und jedem Skalar \( \lambda \) aus dem Grundkörper angeben, wie ihr skalares Produkt, die lineare Abbildung \( \lambda\cdot\phi \) definiert, ist (in den meisten Fällen ist der Grundkörper \( \R \) und damit \( \lambda \) eine reelle Zahl). Hierfür findest du in der Literatur meistens folgende Definition:
Leider wird in den seltensten Fällen erklärt, was es mit dieser Schreibweise auf sich hat und was sie bedeuten soll. Ich will dies hier nachholen. Beginnen wir mit der Gleichung \( (\phi+\psi)(v) := \phi(v) + \psi(v) \).
In dieser Gleichung wird die Funktion \( \phi+\psi \) durch ihre Zurodnungsvorschrift definiert. Es wird also angegeben wie ein Vektor \( v \) durch die Funktion \( \phi+\psi \) abgebildet wird (ein Vektor \( v \) wird auf den Vektor \( \phi(v)+\psi(v) \) abgebildet). Hier sollte man \( \phi+\psi \) als eigenständigen Bezeichner einer linearen Funktion und die Schreibweise \( (\phi+\psi)(v) \) als Auswertung der durch den Bezeichner \( \phi+\psi \) definierten Funktion an der Stelle \( v \) ansehen, wobei \( \phi \) und \( \psi \) selbst wieder Bezeichner für lineare Abbildungen sind
Im vorherigem Abschnitt habe ich dich darauf aufmerksam gemacht, dass die Schreibweise \( f(x)=0 \) mehrdeutig interpretiert werden kann. In der obigen Schreibweise \( (\phi+\psi)(v) := \phi(v) + \psi(v) \) ist die zweite dieser beiden Interpretationen gemeint.
Beim Verständis dieser Gleichung kann dir auch helfen, wenn du dir klar machst, aus welcher Menge die einzelnen Elemente der Gleichung stammen:
Damit beziehen sind die beiden \( + \)-Zeichen auf Additionen in unterschiedlichen Grundmengen:
Damit wird die Addition auf \( L(V,W) \) auf die Vektoraddition auf \( W \) zurückgeführt. Kein Wunder also, dass die hier definierte Addition auf \( L(V,W) \) die Eigenschaften einer Vektoraddition erfüllt (wenn sie doch auf eine Vektoraddition zurückgeführt wird). Dies kannst du zum Beispiel im Beweis der Kommutativität der Vektoraddition auf \( L(V,W) \) sehen. Hier ist zu zeigen, dass für alle \( \phi,\psi \in L(V,W) \) die Gleichung \( \phi+\psi = \psi+\phi \) erfüllt ist. Um zu zeigen, dass die beiden Funktionen \( \phi+\psi \) und \( \psi+\phi \) identisch sind, reicht es wenn wir zeigen, dass sie gleiche Argumente auf gleiche Funktionswerte abbilden, dass also für alle \( v\in V \) gilt, dass \( (\phi+\psi)(v) = (\psi +\phi)(v) \) ist (Beachte, dass \( \phi+\psi \) und \( \psi+\phi \) denselben Definitionsbereich \( V \) und denselben Wertebereich \( W \) besitzen. Dies ist wichtig, denn zwei Funktionen \( f \) und \( g \) sind nur dann identisch wenn sie denselben Definitionsbereich und denselben Wertebereich besitzen und wenn sie gleiche Argumente auf gleiche Funktionswerte abbilden - die erste Anforderung wird oft vergessen). Es ist
und mit Erklärungen
Analog kann man die rechtlichen Eigenschaften der Vektoraddition und der skalaren Multiplikation auf \( L(V,W) \) beweisen.
Bisher haben wir noch nicht bewiesen, dass die von uns oben definierten Funktionen \( \phi+\psi \) und \( \lambda\cdot\phi \) lineare Abbildungen sind. Wir wissen zwar, dass es Abbildungen von \( V \) nach \( W \) sind, aber noch nicht, dass es lineare Abbildungen sind. Ich möchte dies am Beispiel der Funktion \( \lambda\cdot\phi \) nachholen. Es seien dazu \( v_1,\,v_2\in V \) und \( \alpha\in\mathbb{K} \) beliebig (wobei \( \mathbb{K} \) der Grundkörper der Vektroräume \( V \) und \( W \) sein soll). Es ist
und
Was ist \( L(V,L(V,W)) \)?
Die Menge \( L(V, L(V,W) \) kannst du verstehen, indem du schrittweise die Definition der Menge \( L(\cdot,\cdot) \) anwendest. \( L(V, L(V,W) \) ist die Menge aller linearen Abbildungen von \( V \) nach \( L(V,W) \), wobei \( L(V,W) \) wiederum die Menge aller linearen Abbildungen von \( V \) nach \( W \) ist. Wenn wir also eine Funktion \( \phi\in L(V,L(V,W)) \) haben, so ordnet diese jedem Vektor \( v_1 \in V \) eine lineare Abbildung \( \phi(v_1)\in L(V,W) \) zu. \( \phi(v_1) \) ist also wieder eine lineare Abbildung, also eine Funktion. Dementsprechend ist die Schreibweise \( \phi(v_1)(v_2) \) gerechtfertigt, da \( \phi(v_1) \) eine Funktion von \( V \) nach \( W \) ist (\( \phi(v_1)(v_2) \) ist dementsprechend ein Vektor aus \( W \)).
Was ist \( L^2(V,W) \)?
\( L^2(V,W) \) ist die Menge aller bilinearen Abbildungen von \( V \) nach \( W \). Doch was ist ein bilineare Abbildung? Eine bilineare Abbildung aus \( L^2(V,W) \) ist eine Funktion \( V\times V\rightarrow W \), die jeweils zwei Argumenten aus \( V \) einen Vektor aus \( W \) zuordnet und die in jedem Argument linear ist. Dies bedeutet zum einen, dass man jeder Funktion \( \phi\in L^2(V,W) \) zwei Vektoren \( v_1, v_2 \in V \) geben muss (und nicht einen Vektor) und die Funktion einen Vektor \( \phi(v_1,v_2) \) aus \( W \) zurückgibt. Zum anderen bedeutet die Bilinearität von \( \phi\in L^2(V,W) \), dass wenn man bei \( \phi \) alle bis auf ein Argument festhält, \( \phi \) die Eigenschaften einer linearen Abbildung erfüllt:
- \( \phi(v_1+v_2, \tilde v) = \phi(v_1, \tilde v) + \phi(v_2, \tilde v) \)
- \( \phi(\lambda \cdot v, \tilde v) = \lambda \cdot \phi(v, \tilde v) \)
- \( \phi(\tilde v,v_1+v_2) = \phi(\tilde v,v_1) + \phi(\tilde v,v_2) \)
- \( \phi(\tilde v,\lambda \cdot v) = \lambda \cdot \phi(\tilde v,v) \)
\( L^2(V,W) \) ist nach ähnlichen Argumenten wie bei \( L(V,W) \) ein Vektorraum. Die Summe \( \phi+\psi \) für zwei bilineare Funktionen \( \phi,\psi\in L^2(V,W) \) wird definiert durch die Zuordnungsvorschrift
und das skalare Produkt \( \lambda\cdot\phi \) einer bilinearen Abbildung \( \phi\in L^2(V,W) \) und einem Skalar \( \lambda \) des Grundkörpers wird definiert durch die Zuordnungsvorschrift